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GASTBEITRAG

ABER JEDER

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Marina Beach

Christoph Schaden studierte Kunstgeschichte, Psychologie und Neuere Germanistik in Bonn und Köln. In seiner freiberuflichen Tätigkeit veröffentlichte er zahlreiche Arbeiten zu Fotografie und Kunst. Er ist Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten wie der Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg, an der Ruhr-Universität Bochum und an weiteren. Seit 2010 ist Schaden Professor für Bildwissenschaft an der Fakultät Design der Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg.

https://d.th-nuernberg.de/personen/

EIN GEDANKE ZU DEN FOTOGRAFISCHEN BILDERN VON MARKUS BULLIK

VON CHRISTOPH SCHADEN


Nicht jeder kann die Wahrheit sehen, aber jeder kann die Wahrheit sein.
Franz Kafka


Ein Mensch, ein Mensch ihm gegenüber. Sie nehmen einander in den Blick, nehmen einander wahr. Wer mag von sich behaupten, die Wahrheit zu sehen? Wer von beiden maßt sich an, die Wahrheit zu sein?

In unseren Tagen liegt das Diktum, das Franz Kafka einmal auf so unnachahmliche Weise in Worte zu fassen wusste, merkwürdig fern. Nicht nur, weil die Frage nach der Wahrheit weithin in Verruf geraten ist. Auch der Prozess des Sehens ist uns zunehmend suspekt geworden. Und mit ihm, seien wir ehrlich, die Fotografie. Wir sollten unseren Augen nicht länger trauen, heißt es allenthalben. Wir sollten uns wappnen vor der trügerischen Welt der fotografischen Bilder, die uns den Blick auf die Welt verstellen. Und eben nicht mehr offenbaren.

Die Menschenbilder, die Markus Bullik vor mehr als fünfundzwanzig Jahren an den Stadtstränden der Metropole Chennai (vorm. Madras) in Südindien mit einer alten Laufbodenkamera anfertigte, erzählen dagegen von einer Zeit, als das Sehen noch geholfen hat. Offenkundig erscheinen sie in der Nachbetrachtung so vertraut, weil in ihnen die Wahrheit, die mit dem Augensinn erfasst werden kann, noch gänzlich ungebrochen zurückstrahlt. Dabei sind seine Bilder auf sonderliche Weise aus der Zeit gefallen. In ihrer analogen Prägung und ikonischen Tradierung erinnern sie auf ein vergangenes Erbe des Menschenbildes, das im Gegenüber noch bildhaft das Wesen des Anderen zu erfassen suchte. Und vielleicht sogar gefunden hat. Man mag an die Arbeiten von August Sander denken, vielleicht auch an Mike Disfarmer. Hinzu kommt, dass Baryt und Silberkorn in den Schwarzweißabzügen von Markus Bullik nuanciert hervortreten und gleichermaßen eine anachrone Betrachtungsperspektive lancieren. Es ist eine Perspektive, die uns heute wieder mehr verwirrt als sentimental anmutet.

Woran liegt das? Mit dem Vokabular, das jener letzten analogen Dekade der Fotografie zur Verfügung stand, ist den Bilder kaum beizukommen. Sie lassen sich weder in die Kategorien von subjektiv und sachlich einordnen, noch beschränken sie sich auf klassische Begriffe des Dokuments, der Landschaft und des Portraits. Vielmehr äußert sich in ihnen ein beharrliches Moment des Erwehrens. Markus Bullik entschied sich schon damals für eine längst verklungene fotografische Aufnahmetechnik und Bildästhetik. Dem lag ein ethnografisches Interesse zugrunde, ein Interesse am Menschen und an der Stille. Man spürt seinen Menschenbildern, die an den Stränden von Madras entstanden sind, heute noch an, dass es ihm weniger um das Zeigen ging als um ein behutsames visuelles Erkunden, weniger um das Erfassen des Gegenübers als um eine bereichernde Begegnung, weniger um eine Behauptung als um die empathische Frage, was im Akt des Fotografierens tatsächlich geschieht. In unseren Tagen findet sich darin vielleicht das eigentliche Wunder: auch die Fotografie kann noch die Wahrheit sein.

© Markus Bullik

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